Sonntag, 26. Juni 2016






Sputnik 3B – auf „dunklen Wegen“ in die Stratosphäre

In den Medien ausführlich dargestellte Berichte über erfolgreiche Weltraummissionen der Vergangenheit des Raumfahrtzeitalters zogen im Vorfeld immer sogenannte „Dark Missions“ (Dunkle Missionen) nach sich. Hier konnten die Wissenschaftler und Ingenieure ohne den Druck der Öffentlichkeit auch Dinge ausprobieren, sowie Fehlschläge prüfen und verarbeiten.
Abb.1 Sputnik 3B mit GSM-Tracker
Den Lesern dürfte der spektakuläre Flug der Sputnik 3 Mission der AG Amateurfunk und Elektronik aus dem Jahr 2015 noch in Erinnerung sein. Die traumhaften Bilder aus 34 Kilometer Höhe und die erfolgreiche Bergung der Nutzlast nach fast sechs Stunden Flugzeit konnte jedoch über den großen Misserfolg der Mission, den Totalausfall der Telemetrie ab einer Höhe von 13 Kilometern, nicht hinwegtäuschen. So wurde die Zeit der Arbeitsgemeinschaft im zurückliegenden Schuljahr 2015/2016 für eine intensive Fehlersuche und Analyse genutzt.
Die erfahrenen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der Klassenstufen 11 und 12 konnten unter Laborbedingungen (Messungen der Nutzlast unter einer Vakuumglocke) die Ausfallursache erfolgreich verifizieren. Der Fehler des Speicherüberlaufs aufgrund einer zu klein angelegten Stringvariablen der Höhenangabe erwies sich als immer wahrscheinlicher. Schnell wurde die Software modifiziert und konnte im Dauerbetrieb unter der Vakuumglocke erfolgreich bis auf eine Höhe von 34 Kilometer getestet werden. Als weitere Sicherheitsmaßnahme wurde ein sogenannter „Watchdog“ (Wachhund) in den Quellcode implementiert. Spätestens nach acht Sekunden muss in der Hauptschleife der Firmware von Sputnik der Watchdog-Timer zurückgesetzt werden. Sollte aufgrund von Speicherproblemen oder anderen Hardwareereignissen dieses Zurücksetzen ausbleiben, führt der Sputnik-Controller einen Hardwarereset aus und kann mit bereinigten Speicher hoffentlich wieder seine Arbeit aufnehmen.
Aber was taugt eine Theorie, die unter realen Bedingungen noch nicht überprüft wurde? Wird Sputnik 3 mit veränderter Firmware den Anforderungen eines Extremfluges in die eisigen Umweltbedingungen der Stratosphäre gerecht? Schnell stellten die AG-Mitglieder einen Anforderungskatalog an einen möglichen Testflug zusammen. Hauptpunkte dieses Kataloges waren:
- ein Aufstieg in mindestens 20 Kilometer Höhe,
- die Mitführung eines Backupsystems in Form eines GSM-Trackers (D1-Netz)
- eine leichte Nutzlast zwecks Kosteneinsparung (max. 400 Gramm)
- gleiche Voraussetzungen der Nutzlast hinsichtlich Sensoren und Energieversorgung wie 2015.

Abb.2 Spuntik 3B mit neuem Kreuzdipol
Damit stand fest, dass diese Mission auf alle Videoaktivitäten und zusätzliche Messungen wie sie für eine Folgemission geplant sind, verzichten musste. Mit einer Gesamtmasse der viel kleineren Nutzlastbox von 320 Gramm, konnte ein wesentlich kleinerer Ballon der Marke TOTEX/300g zum Einsatz kommen.
Erfreulicherweise trat mit Mirko ein erfahrener „Balloner“ in unseren Ortsverband (W28, Ortsverband Wolfen des Deutschen Amateurradioclubs) ein. Mit teilweise spektakulären Ballonmissionen im Rahmen seines Skyriderprojektes verfügt er über wertvolle Erfahrungen rund um die Probleme einer Ballonmission. So erklärte sich Mirko spontan bereit, uns mit seinen Erfahrungen und einer Flasche Helium in Reinstform zu unterstützen. Der Countdown für das Abenteuer „Sputnik 3B“ konnte also starten.
Von Anfang an war klar, Sputnik 3B soll eine „Dark Mission“ werden. Der Starttermin und der Ablauf der Mission wurde unter strenger Geheimhaltung nur von den an der Mission beteiligten Entwicklern und Helfern geplant. Keine Presse, keine Zuschauer sollten den hochkonzentrierten Ablauf von Sputnik 3B stören. Der Startort wurde auf den Anhalter Platz in unmittelbare Nähe der Clubstation DL0HWO der Funkamateure in Wolfen gelegt.
Abb.3 Neue Verfolgerstation auf Raspberry-Basis
Aus den Erfahrungen der Vorgängermission heraus begann in Wolfen auch eine fieberhafte Arbeit an der Verbesserung der Ausrüstung der Verfolgerteams. Günter (DG3HWO) und Dietmar (DL4HWO) entwickelten und rechneten einen Kreuzdipol, der unter Einbeziehung der Kapazität des Autodaches Rundstrahleigenschaften über den gesamten Himmelsbereich aufweist. Wie erfolgreich diese Antennen arbeiteten, wird sich später im Bericht noch zeigen. Die Bordcomputer im Auto wurden auf den neuen Raspberry Pi 3 umgestellt. Durch Verwendung des neuen Pi-Touchscreens konnte der gesamte Aufbau in einem tabletartigen Gehäuse integriert werden. Somit gehen nur noch zwei Verbindungen nach außen, die Energieversorgung über USB und die serielle Anbindung an das Funkgerät. Ein GPS-Modul, direkt mit der GPIO des Raspberry Pi verbunden, liefert zuverlässig Positionsdaten für die genaue Lokalisierung des Verfolgerfahrzeuges. Das Betriebssystem auf Linuxbasis wurde speziell für den Einsatzzweck angepasst. Mittels der APRS-Software Xastir stand für die Mission ein internetunabhängiges Verfolgersystem mit Kartendarstellung zur Verfügung.
Abb.4 Startplatzvorbereitung
Vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt erhielten wir für den 18.06.2016 in der Zeit von 9 Uhr bis 10.30 Uhr die Aufstiegserlaubnis, eine Luftverkehrsfreigabe durch die DFS war aufgrund der Gesamtmasse der Mission von 620 Gramm nicht nötig. Einige Tage vor dem Start zeigten die Vorhersagen am CUSF Landing Predictor, dass die Reise ins nördlich gelegene Nuthe-Landschaftsschutzgebiet gehen sollte. Die Kalkulation von Sputnik 3B orientierte sich am Missionsziel, Bursthöhe etwa 23000 Meter, Aufstiegsrate 5 m/s, Sinkrate 5 m/s. Interessant an dieser Stelle war der Vergleich der Kalkulation mit der von Mirko entwickelten Kalkulation für die größeren Skyrider-Missionen. Die klassische HAB-Burst-Kalkulation lieferte eine Gasmenge von etwa 1,2 m³ bei 910 Gramm Necklift (590 Gramm reinen Auftrieb), Mirkos Kalkulation ergab unter Berücksichtigung des veränderlichen Reibungskoeffizienten des Ballons eine Gasmenge von mindestens 2 m³. Um die Tauglichkeit der Berechnung für kleinere Ballons zu testen, wurde die klassisch berechnete Gasmenge angestrebt.
Abb. 5 Befüllung von Sputnik 3B
Am Starttag trafen sich alle Beteiligten pünktlich 7 Uhr zu einem stärkenden Frühstück in der Clubstation.Trotz der Aufregung über das bevorstehende Ereignis genossen alle das liebevoll vorbereitete Frühstück, letzte Details wurden in lockerer Atmosphäre abgesprochen. Pünktlich acht Uhr begannen wir mit den Vorbereitungen des Startplatzes. Das Wetter war optimal, leichter Wind und blauer Himmel. Günter (DG3HWO) und Herbert (DL3HWO) fuhren bereits mit dem Verfolgerfahrzeug Nummer 3 ins erwartete Zielgebiet.
Abb.6 Ballonromantik
Kurz vor dem Befüllen sorgte Mirko noch für eine kleine Schreckensnachricht. Die bei der Übergabe zugesicherte Gasmenge von etwa 2,5 m³ Helium schien sich auf 0,9 m³ verringert zu haben. Diese Menge würde nach klassischer Rechnung nicht einmal für die angestrebte Steigrate ausreichen. War das Missionsziel gefährdet? Musste der Start abgebrochen werden? Gott sei Dank erwies sich der abgelesene Wert als fehlerhaft, die Manometereinteilung am Druckminderer war irreführend.
Erleichtert begann das gesamte Team gegen 8.30 Uhr mit der Befüllung von Sputnik 3B. Hier zeigte sich wieder der große Teamgeist aller Beteiligten. Jeder packte mit an, die Nutzlast wurde in Betrieb genommen, der Fallschirm vorbereitet und mit der Nutzlast verbunden. Die Sputnik-Bake begann mit ihren planmäßigen Aussenden. Pünktlich 8.45 Uhr war das gesamte Gespann von Sputnik 3B bereit und wartete auf den Start. Aufgrund aufkommender Winde wurde in einer ruhigen Phase entschieden, die Nutzlast 6.50 Uhr UTC (8.50 MESZ) auf ihre bevorstehende Reise zu schicken. Unter tosendem Applaus verschwand Sputnik 3B in den blauen Himmel. Die Steigrate nach dem Start stellte sich mit zügigen 5,2 m/s ein, verringerte sich aber später auf Werte zwischen 3,3 bis 4 m/s. Die Verfolgerfahrzeuge 1 (Andreas DG0HAB, Mirko, Markus), 2 (Kathrin, Heidi, Franz-Alwin DD3FA und Jens DM4JH) und 4 (Hansi DG1HVL und Andreas) traten ihre Fahrt in das Zielgebiet auf der A9 an. Steffen (DO2AS), Dietmar (DL4HWO) und Gerhard (DO4GDE) besetzten Mission Control auf der Clubstation. Die Kommunikation sollte zunächst über das Wolfen-Relais DB0WOF und später über DB0BEL (Belzig) mit den Verfolgern zwecks Koordination aufrechterhalten werden. Sputnik 3B bewegte sich zügig auf der vorausberechneten Route über Gräfenhainichen und Kemberg Richtung Wittenberg. Etwa auf Höhe Kemberg überschritt die Nutzlast die mit Spannung erwartete Höhe von 10 Kilometern. Mit großem Jubel wurde registriert, dass alle Systeme von Sputnik 3B normal arbeiteten. Der verhängnisvolle Fehler, der zum Ausfall der Mission Sputnik 3 führte schien erfolgreich behoben zu sein. Mit Überflug der Elbe bei einer Höhe von 15315 Metern erreichten die Verfolger 1, 2 und 4 ihren Zwischenstandort in einem Gewerbegebiet an der B2 bei Treuenbrietzen. Alle waren gut gelaunt und Hansi (DG1HVL) spendierte aus dem hiesigen Dorfgeschäft eine Runde „Warteeis“.
Abb.7 Eispause in Treuenbrietzen
Nördlich von Wittenberg schwenkte Sputnik 3B in die erwartete S-Kurve ein als in einer Höhe von 17 Kilometern das unglaubliche passierte. Zunächst schienen die GPS-Höhenwerte abzuweichen um schließlich auf unmögliche 1800 Meter zu springen. Die barometrische Höhe folgte aber den durch die Aufstiegsrate vorgegebenen Verlauf. Um 10.16 Uhr „fror“ die Position der Nutzlast auf Höhe von Thießen auf den Karten der Verfolgerstationen ein. Auch die Kontrollstation in Wolfen konnte nichts Gutes berichten. Alle Telemetriedaten inklusive der barometrischen Höhe wurden absolut plausibel empfangen. Die GPS-Position der Sonde veränderte sich jedoch nicht mehr. Eine schreckliche Erkenntnis machte sich breit. Das GPS-Modul von Sputnik 3B ist Opfer des COCOM-Limits für zivile GPS-Nutzung geworden. Ab einer Geschwindigkeit von 1000 Knoten (1900 km/h) oder einer Höhe von über 60000 Fuß (18000 Meter) deaktiviert das Modul die Auswertung der Satellitensignale. Leider hatte das verwendete Adafruit Modul nicht die etwas „mildere“ UND – Verknüpfung von Geschwindigkeits- und Höhenlimit, sondern die „schärfere“ ODER-Verknüpfung. Die Stimmung der Verfolger sank sofort. Musste wieder auf die letzte Sicherheit, den GSM-Tracker, gesetzt werden? Wird sich das Modul bei Unterschreitung des Höhenlimits wieder melden? Quälende Minuten des Wartens vergingen, bis nach Unterschreitung der GPS-Höhe von 10000 Metern Sputnik 3B gegen 10.56 Uhr seine Position zirka vier Kilometer südwestlich von Niemegk mitteilte. Dieses Ereignis wurde mit lautem Jubel bei den Verfolgern begleitet. Schnell kam von Mission Control die Empfehlung, der Bahn auf der B2 nach Beelitz und dann auf der B246 Richtung Trebbin bis Zossen zu folgen. Jetzt machten sich die hervorragenden Antennen der Verfolgerstationen bezahlt. Trotz der noch beträchtlichen Entfernung von Sputnik 3B und den teilweise undurchdringlichen Wäldern des Flämings konnten alle Baken mit Vollausschlag empfangen werden.
Abb.8 Sichtung von Sputnik 3B vor Zossen
Beim Warten an einer geschlossenen Bahnschranke in Zossen geschah dann das absolute Highlight der Verfolgungsjagd. Sputnik 3B überflog in einer Entfernung von einem Kilometer in einer Höhe von einem Kilometer nördlich die Verfolgerautos. Eine kurze Abschätzung von Mirko, ein scharfer Blick von Andreas (DG0HAB) und der rote Fallschirm mit Sputnik 3 hinter einer dunklen Regenwolke konnte von allen gesichtet werden. Lauter Jubel und eine kurze Erklärung an die fragenden Gesichter der wartenden Autofahrer lockerten die Situation auf. Glücklicherweise erweist sich die Wartezeit an geschlossenen Schranken in Brandenburg deutlich länger als in Sachsen Anhalt, so dass alle den herrlichen Anblick genießen konnten. Nach Überschlagen der Telemetriedaten wurde uns aber auch bewusst, warum Sputnik 3B so friedlich durch die Luft „segelte“. Die Sinkrate lag mit 2 m/s doch deutlich unter dem vorausberechneten Wert. Der von Sputnik 3 wiederverwendete Fallschirm erwies sich mit einem Durchmesser von über einem Meter als zu groß.
Abb. 9 Finderteam
Nach Öffnung der Schranke mussten alle Verfolger aufgrund von Bauarbeiten leider einen Umweg auf der B96 fahren und konnten dem Ballon nicht mehr direkt folgen. Aufgrund der hervorragenden Antennen konnten die 500mW Signale jedoch bis zum Bodenkontakt sicher empfangen werden. Westlich der kleinen Ortschaft Telz bargen Mirko, Andreas (DG0HAB), Kathrin und Franz-Alwin (DD3FA) die Nutzlast unweit eines Feldweges im Mais. Alle Komponenten von Sputnik 3B hatten die Reise unversehrt überstanden.
Nach Sichtung der Telemetriedaten hat unser Sputnik erfolgreich eine Gipfelhöhe von 20234 Metern erreicht. Alle Komponenten bis auf das GPS-Modul haben ihre Funktion wie erwartet erfüllt. Damit kann die jetzige Firmware von Sputnik als fehlerfrei bezeichnet werden.
An dieser Stelle scheint das erfolgreiche Abenteuer Sputnik 3B beendet, wäre da nicht noch die Spargelzeit im hiesigen Landegebiet. Was jetzt folgte war schlimmer als die Verfolgungsjagd der Nutzlast. Die Jagd auf einen kleinen, gemütlichen Landgasthof vor Ort. Leider gab es in der ganzen Region keine Gaststätte, die noch nicht verlassen und aufgegeben wurde. Nachdenklich fuhren dann alle zum in 40 Kilometern liegenden Spargel – Erlebnis – Hof. Dort empfingen uns tausende laute Besucher aus Berlin und Umgebung. Trotz der Hektik vor Ort hat allen das wohlverdiente Spargelgericht geschmeckt.


Vy 73 Jens DM4JH 
Abb.10 Sputnik 3B in der Box

Abb. 11 Öffnung der geborgenen Nutzlast

Abb.12 Sputnik 3B unversehrt

Abb. 13 Flugbahn von Sputnik 3B